Der Vertrag des Generalunternehmers (EPC) in Finnland aus Sicht des Anbieters
September 2022

Der Vertrag des Generalunternehmers (EPC) in Finnland aus Sicht des Anbieters

Die Gestaltung und Verhandlung eines EPC-Vertrags folgt in erster Linie den Notwendigkeiten des Projektes. Allgemeingültige Regeln lassen sich kaum aufstellen. Aber natürlich spielen Üblichkeiten und Gepflogenheiten im Zielmarkt – hier Finnland – eine Rolle. Der folgende Artikel beleuchtet einige Kernpunkte.

Gesamtverantwortung und Risikoübernahme

Der Grundgedanke des EPC-Vertrags ist es, dass der Generalunternehmer eine weit reichende Gesamtverantwortung für den Erfolg des Bauprojekts übernimmt. Dabei wird die Fertigstellung in der Regel für einen Pauschalpreis zugesagt.

Von der Frage, wie weit die Verantwortung des Generalunternehmers geht, hängt das Projektrisiko des Unternehmers ab. Hier gibt es von Projekt zu Projekt durchaus erhebliche Unterschiede und nicht selten zähes Tauziehen in den Vertragsverhandlungen.

Zu den zentralen Streitpunkten der Risikoverteilung gehören insbesondere folgende Fragen:

Darf der Unternehmer die Eingangsplanung (FEED) als richtig unterstellen oder muss er alles von Grund auf überprüfen?

Muss der Unternehmer für die Einholung von Genehmigungen (Baugenehmigung, Umweltgenehmigung, branchenspezifische Genehmigungen, usw.) sorgen, die dafür notwendige Dokumentation erstellen und für ggf. entstehende Verzögerungen einstehen?

Genügt es für den Unternehmer, die in der Eingangsplanung oder im Vertrag bezeichneten technischen Zielwerte zu erzielen, oder muss er in allgemeinerer Form dafür einstehen, dass die errichtete Anlage auch tatsächlich ihren Zweck erfüllt?

Darf der Unternehmer zusätzliche Vergütung und Terminplananpassung verlangen, wenn unvorhergesehene Umstände eintreten (z. B. Bodenkontamination, Einwirkung durch Dritte, Änderung von gesetzlichen Rahmenbedingungen), oder gehört dies zum Risiko des Unternehmers?

Mit allzu risikoscheuen Verhandlungspositionen kann ein Anbieter seine Glaubwürdigkeit als erfahrener Generalunternehmer aufs Spiel setzen. Viele dieser Risiken sind kommerziell einigermaßen zuverlässig einzuschätzen und in das kommerzielle Angebot einzupreisen, wenn man mit dem tatsächlichen und rechtlichen Rahmen in Finnland vertraut ist.

Änderungsanordnungen

Auch wenn der Auftraggeber dem Generalunternehmer möglichst weitgehend die Gesamtverantwortung übertragen möchte, will er doch in aller Regel das letzte Wort haben, wenn es um die Frage geht, was eigentlich gebaut wird. Der Auftraggeber kann Änderungen in den auszuführenden Arbeiten anordnen.

Dieses Recht wird sich ein finnischer Auftraggeber im Vertrag nicht nehmen lassen. Sie werden es auch nicht erreichen, dass die Umsetzung einer Änderungsanordnung davon abhängig gemacht wird, dass sich die Parteien erst über die Auswirkungen auf den Vertragspreis und den Terminplan einigen. Es ist in Finnland durchgängige Praxis in Bauverträgen, dass die Fortsetzung der Arbeiten und die Fertigstellung des Projekts Vorrang vor allen kommerziellen Fragen hat.

Als Anbieter sind Sie gut beraten, diese Ausgangslage hinzunehmen und sich auf diejenigen Fragen zu konzentrieren, in welchen Sie realistischerweise etwas erreichen können:

Vereinbarung von praktikablen Änderungsverfahren, in denen der Unternehmer Klarheit darüber hat, ob eine Änderung ausgeführt werden soll, auch wenn der Preis noch nicht feststeht;

Vereinbarung realistischer Preismechanismen, die einsetzen, wenn Änderungen ohne vorherige Preisvereinbarung umzusetzen sind; und

Berücksichtigung der Auswirkungen, die Änderungsanordnungen auf die Gesamtverantwortung des EPC-Unternehmers haben können.

Und natürlich sollten Sie sich vornehmen, im Laufe des Projekts eine umfassende Projektdokumentation zu pflegen, aus denen sich die Kosten und Auswirkungen von angeordneten Änderungen nachvollziehen lassen, und auf die Einhaltung der Verfahren zu achten, die der Vertrag für die Geltendmachung von Preiszuschlägen und Terminanpassungen vorsieht.

Gewährleistung und Haftung

Die Frage, welche Garantien übernommen werden und für wie lange, hängt von der Natur des Projekts ab. Üblich ist in Finnland eine zweijährige Gewährleistungszeit. Die branchenüblichen Standardverträge sehen zudem noch für zehn Jahre nach der Übernahme eine nachlaufende Haftung für versteckte Mängel vor, soweit diese auf Umständen wir der groben Vernachlässigung der vereinbarten Qualitätssicherung beruhen.

Ohne eine vertragliche Haftungsbegrenzung ist die Haftung des Unternehmers – sei es für Baumängel oder für die Folgen jeglicher Vertragsverletzungen – nach finnischem Recht grundsätzlich unbeschränkt. Auch die branchenüblichen Standardbedingungen für Bauverträge YSE 1998 sehen keine Haftungsbeschränkung vor.

In der Vertragspraxis ist die Vereinbarung von Haftungsbeschränkungen, insbesondere der Ausschluss indirekter Schäden sowie die Aufnahme von betragsmäßigen Obergrenzen, nicht unüblich. Natürlich wird am Markt die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung ebenso vorausgesetzt wie eine angemessene Versicherungsdeckung. Anbieter sollten es daher vermeiden, mit überzogenen Vorstellungen bei der Haftungsbegrenzung die falschen Signale zu senden. Der EPC-Unternehmer hat aber ein nachvollziehbares Interesse daran, nicht zum Risikozentrum der Vertragskette zu werden: Eine Weitergabe von Haftungsrisiken an Subunternehmer, Planer und andere Vertragspartner ist faktisch nur begrenzt möglich.

Schiedsklauseln

Die Vereinbarung von Schiedsverfahren zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten ist in finnischen Projektverträgen gang und gäbe. Dies ist durch eine Anzahl von Umständen motiviert, darunter die Schwerfälligkeit finnischer Gerichtsverfahren und das Interesse an einer vertraulichen Behandlung des Verfahrens (Gerichtsakten sind in Finnland grundsätzlich öffentlich).

Für grenzüberschreitende Projekte kommt hinzu, dass nur für Schiedsverfahren Englisch als Verfahrenssprache gewählt werden kann, und dass die Ernennung von Schiedsrichtern aus neutralen Jurisdiktionen ermöglicht wird.

Die finnische Zentralhandelskammer unterhält ein Schiedsinstitut, deren Verfahren sich in der finnischen Baubranche großer Beliebtheit erfreuen. Für Verfahren von internationalerem Zuschnitt kann sich aber auch die Verwendung anderer Schiedsinstitute anbieten, so etwa der internationalen Handelskammer (ICC).