Finnische Vertragspraxis in Kürze
Januar 2019

Finnische Vertragspraxis in Kürze

Das finnische Rechtssystem ist Teil des nordischen Rechtskreises. Daher werden Geschäftsleute aus Skandinavien viele Aspekte des finnischen Vertragsrechts als bekannt empfinden. Für alle Anderen gibt es einige Kernmerkmale, deren Kenntnis bei Vertragsschlüssen in Finnland von Vorteil ist.

Das wohl bekannteste Merkmal des finnischen Vertragsrechts ist, dass Fakten Vorrang vor der Form haben. Ein finnisches Gericht wird niemals einen Fall ausschließlich danach entscheiden, ob die Parteien ein spezielles Wort oder eine spezielle Formulierung im Vertragstext gewählt haben. Tatsächlich ist das finnische Recht merklich uninteressiert an Begriffen und Wortlauten. Anwälte betrachten den Vertrag als Ganzes, was die Parteien tatsächlich beabsichtigten, aber auch schlichtweg was Sinn macht.

Richterliches Ermessen voraussehen

Richter in Finnland haben (bei Anwendung des finnischen Vertragsrechts) einen weiten Ermessenspielraum hinsichtlich der Anpassung oder Außerachtlassung von Vertragsklauseln, wenn sie diese als unzureichend empfinden. Dies ist Segen und Fluch zugleich. Es entlastet Parteien, speziell solche in einer schwächeren Verhandlungsposition, teilweise von der Sorge über Vertragsklauseln. Falls die Dinge zu absurd werden, kann auf richterliche Hilfe vertraut werden. Andererseits macht dieses System den Ausgang möglicher Streitigkeiten weitaus unvorhersehbarer.

Als Konsequenz ist das grundlegende Gestaltungsparadigma in Finnland anders als in vielen anderen Ländern. Es ist nicht möglich mit Sicherheit festzustellen, wie weit gegangen werden kann, ohne dass die Vertragsklauseln vom Gericht außer Acht gelassen werden, zum Beispiel wenn es um die Einschränkung von Parteirechten geht.

Stattdessen ist es von besonderer Bedeutung, dass der Vertrag so genau wie möglich das vorliegende tatsächliche Projekt und die tatsächlich gerechtfertigten Interessen jeder Partei darstellt. Nur vor einem solchen Hintergrund sind die gewünschten Justierungen am vertraglichen Gleichgewicht möglich, wie zum Beispiel hinsichtlich der Haftung, der Kündigungsrechte oder dergleichen. Nur wenn Klauseln (für einen Richter erkennbar) eine klare Grundlage in der Natur des Projekts haben, kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass die Klausel richterlichem Ermessen standhält.

Vertragsformen

Finnisches Vertragsrecht ist weitgehend frei von zwingenden Formvorschriften. Verträge können in jeder Form geschlossen werden, die den Parteien als geeignet erscheint (und das Bedürfnis seitens der Parteien erfüllt, die Existenz von Vereinbarungen zu beweisen).

In praktischer Hinsicht werden selbst geschäftliche Verträge bedeutenden Wertes regelmäßig per E-Mail durch den Austausch von eingescannten und unterschriebenen Dokumenten abgeschlossen. Es ist ein aufkommender Trend, auf die physische Signatur komplett zu verzichten und stattdessen elektronische Signaturen zu benutzen. Originale werden manchmal nachträglich für Dokumentationszwecke ausgetauscht, aber dies ist nicht erforderlich (und zunehmend unüblich).

Rechtsbehelfe

Vertragsparteien steht es weitgehend frei, sich auf vertragliche Rechtsbehelfe zu einigen, die sie im Fall von Vertragsbrüchen oder anderen Störungen der vertraglichen Leistungen nutzen wollen. Sofern keine Vereinbarung getroffen wird, finden die regulären Rechtsbehelfe des finnischen Vertragsrechts Anwendung. Einige Kernbeobachtungen zu diesen Rechtsbehelfen:

Die vereinbarte Leistungserbringung kann gerichtlich durchgesetzt werden, d.h. die andere Partei kann die tatsächliche Erfüllung des Vertrags verlangen, anstatt lediglich Schadensersatz zu verlangen. Dies umfasst zum Beispiel das Recht, Wettbewerbsverbote im Wege von gerichtlichen Unterlassungsanordnungen durchzusetzen.

In Ermangelung angemessener Klauseln zur Haftungsbegrenzung umfasst die Haftung für (mindestens fahrlässige) Vertragsverletzungen generell den vollständigen Ersatz aller Schäden, die erwiesenermaßen durch den Vertragsbruch verursacht wurden, einschließlich Folgeschäden wie dem Produktionsverlust.

Die außerordentliche Kündigung eines Vertrags ist möglich im Falle einer schwerwiegenden Vertragsverletzung, wobei deren Definition ziemlich mehrdeutig ist, sofern nicht geeignete Vertragsklauseln dies klarstellen.

Nutzung von Standardbestimmungen

Ein anderes kennzeichnendes Merkmal der finnischen Vertragspraxis ist die weitverbreitete Nutzung von standardisierten Vertragsbestimmungen. Solche Bestimmungen werden generell von Arbeitsgruppen interessierter Parteien in der betreffenden Branche mit dem Zweck entworfen, ausgeglichene Rahmenbedingungen zu entwickeln, die in den meisten betreffenden Verträgen angewandt werden können.

Im Rahmen von Bauverträgen werden die YSE 1998-Bestimmungen bei der großen Mehrheit der Bauprojekte verwendet. Vor dem Hintergrund, dass dem finnischen Recht Normen vollständig fehlen, die Werk- und Bauverträgen gewidmet sind, werden die YSE 1998-Bestimmungen manchmal so erachtet als wären diese geltendes Recht. Jedenfalls drücken diese Bestimmungen deutlich die Erwartungen finnischer Parteien aus, wenn diese in Bauverträge eintreten.

Die YSE 1998-Bestimmungen finden nicht direkt Anwendung, es sei denn auf diese wird im Vertrag ausdrücklich verwiesen. Dennoch haben die Bestimmungen ein ausschlaggebendes Gewicht bei der Auslegung unklarer Vertragsklauseln oder der Vertragslückenschließung aufgrund ihrer weitläufigen Akzeptanz, auch wenn auf diese nicht ausdrücklich verwiesen wurde. Es ist angebracht, diese im Rahmen der Vertragsgestaltung in Betracht zu ziehen.