Finnische Vertragspraxis in Kürze
Das finnische Rechtssystem ist Teil der nordischen Rechtsfamilie. Geschäftsleute aus Skandinavien werden daher viele Dinge im finnischen Vertragsrecht wiederfinden, die ihnen vertraut sind. Für alle anderen gibt es einige wichtige Merkmale, die man beim Abschluss von Verträgen in Finnland im Auge behalten sollte.
Das vielleicht auffälligste Merkmal des finnischen Vertragsrechts ist, dass es stets die Fakten über die Form stellt. Ein finnisches Gericht wird niemals einen Fall allein aufgrund der Verwendung eines bestimmten Wortes oder einer bestimmten Formulierung im Vertrag durch die Parteien entscheiden. Tatsächlich steht das finnische Recht Begriffen und Formulierungen recht gleichgültig gegenüber. Juristen betrachten hier gerne den gesamten Vertrag, was die Parteien tatsächlich beabsichtigt haben, aber auch, was einfach Sinn macht.
Richterliches Ermessen
Die Richter in Finnland haben (nach finnischem Vertragsrecht) einen weiten Ermessensspielraum bei der Anpassung von Vertragsklauseln oder deren Aufhebung, wenn sie eine solche Klausel für unangemessen halten. Dies kann ein Segen oder ein Fluch sein. Insbesondere Parteien, die sich in einer schwächeren Verhandlungsposition befinden, werden von einem Teil der Sorgen um die Vertragsbedingungen entlastet: Wenn die Dinge zu absurd werden, kann man sich auf die Hilfe der Justiz verlassen. Auf der anderen Seite macht dieses Konzept den Ausgang möglicher Streitigkeiten weniger vorhersehbar.
Folglich ist das grundlegende Paradigma für die Vertragsgestaltung in Finnland anders als in vielen anderen Ländern. Es ist nicht möglich, mit Sicherheit zu bestimmen, wie weit man gehen kann, z. B. in Bezug auf die Einschränkung der Rechte der anderen Partei, ohne dass die Vertragsklauseln von den Gerichten aufgehoben werden.
Stattdessen muss man anstreben, dass der Vertrag das konkrete Projekt und die tatsächlichen berechtigten Interessen der Parteien möglichst genau widerspiegelt. Nur vor diesem Hintergrund ist es möglich, gewünschte Verschiebungen vorzunehmen, z.B. in Bezug auf Haftung, Kündigungsrechte o.ä. Nur wenn ein Richter erkennen kann, dass Vertragsklauseln eine klare Motivation im Rahmen des konkreten Projekts haben, kann man einigermaßen sicher sein, dass die Klausel einer gerichtlichen Überprüfung standhält.
Form der Verträge
Das finnische Vertragsrecht ist weitgehend frei von zwingenden Formvorschriften. Verträge können in jeder Form geschlossen werden, die den Parteien zweckmäßig erscheint (und dem Bedürfnis der Parteien nach Nachweis bestehender Vereinbarungen entspricht).
In der Praxis werden sogar Geschäftsverträge von erheblichem Wert routinemäßig per E-Mail geschlossen, wobei Scans der unterzeichneten Dokumente ausgetauscht oder elektronische Signaturen verwendet werden. Für den letztgenannten Zweck werden in der Regel Drittanbieter von Signaturdiensten eingesetzt.
Bei der elektronischen Unterzeichnung werden die Originale manchmal nachträglich zu Dokumentationszwecken ausgetauscht, was jedoch nicht erforderlich ist (und immer seltener vorkommt).
Rechtsbehelfe bei Vertragsstörungen
Den Vertragsparteien steht es weitgehend frei, die Rechtsbehelfe zu vereinbaren, die sie im Falle von Vertragsverletzungen oder anderen Störungen der Vertragserfüllung anwenden wollen. Soweit sie nichts Bestimmtes vereinbaren, gelten die üblichen Rechtsbehelfe des finnischen Vertragsrechts. Einige wichtige Bemerkungen zu diesen Rechtsbehelfen:
In Finnland kann Erfüllung von vertraglichen Pflichten in Natur eingeklagt und durchgesetzt werden. Man ist nicht darauf beschränkt, einen finanziellen Ausgleich zu fordern. So können beispielsweise Wettbewerbsverbote durch eine gerichtliche Verfügung durchgesetzt werden.
In Ermangelung vertraglicher Haftungsbegrenzungen umfasst der Schadenersatz bei fahrlässiger Vertragsverletzung in der Regel den vollen Ersatz aller Schäden, die nachweislich durch die Vertragsverletzung verursacht wurden, einschließlich Folgeschäden wie Produktionsausfälle.
Eine Kündigung des Vertrags ist bei wesentlichen Vertragsverletzungen möglich, wobei die Definition des Begriffs „wesentlich“ viel Interpretationsspielraum lässt. Die Unsicherheit kann durch vertragliche Definitionen verringert werden.
Verwendung von Standardbedingungen
Ein besonderes Merkmal der finnischen Vertragspraxis ist die weit verbreitete Verwendung von standardisierten Vertragsbedingungen. Solche Vertragsbedingungen werden in der Regel von Gruppen interessierter Akteure in der betreffenden Branche mit dem Ziel entworfen, einen ausgewogenen Rahmen zu schaffen, der auf die meisten einschlägigen Verträge angewendet werden kann.
Bei Bauverträgen werden in der Mehrzahl der Bauprojekte die Vertragsbedingungen „YSE 1998“ verwendet. Da es im finnischen Recht keine speziellen Bestimmungen für Werk- oder Bauverträge gibt, werden die YSE 1998-Bedingungen zuweilen so empfunden, als seien sie selbst das Gesetz. In jedem Fall sind sie ein deutlicher Ausdruck der Erwartungen, die finnische Parteien beim Abschluss von Bauverträgen haben.
Die YSE-Bedingungen von 1998 sind nur unmittelbar anwendbar, wenn sie im Vertrag ausdrücklich in Bezug genommen werden. Ihre breite Akzeptanz verleiht den Bedingungen jedoch ein erhebliches Gewicht bei der Auslegung unklarer Vertragsklauseln oder beim Ausfüllen von Vertragslücken, selbst wenn nicht auf sie Bezug genommen wird. Es ist ratsam, sie bei der Abfassung des Vertrags zu berücksichtigen.
Schiedsklauseln
Die Vereinbarung eines Schiedsverfahrens zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten ist in finnischen Bauverträgen gängige Praxis. Die Gründe dafür sind unter anderem die Langsamkeit der finnischen Gerichtsverfahren und das Interesse der Parteien an einer vertraulichen Verfahrensabwicklung (Gerichtsakten sind grundsätzlich öffentlich).
Bei grenzüberschreitenden Projekten kommt hinzu, dass nur bei Schiedsverfahren die Möglichkeit besteht, Englisch als Verfahrenssprache zu wählen und Schiedsrichter aus neutralen Ländern zu bestellen.
Die finnische Zentralhandelskammer betreibt ein Schiedsinstitut, dessen Verfahren sich in der finnischen Bauwirtschaft großer Beliebtheit erfreuen. Für internationale Verfahren werden häufig auch andere Schiedsinstitute, wie die Internationale Handelskammer (ICC), eingeschaltet.